Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | Anträge |
Antragsteller*in: | Luise Amtsberg, (KV Kiel), Lutz Baastrup (KV Flensburg), Benita von Brackel-Schmidt (KV Flensbur, Marlene Langholz-Kaiser (KV Flensburg), Danny Greulich (KV Nordfriesland,) Konstantin von Notz (KV Lauenburg), Jörn Pohl (KV Kiel), Anna Tranziska (KV Pinneberg), Steffen Regis (KV Kiel), Ingrid Nestle (KV Steinburg), Uta Röpcke (KV Lauenburg) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 26.10.2019, 22:21 |
A 2: Dringlichkeit Syrien
Antragstext
Dringlichkeit Syrien:
Der Landesparteitag betrachtet mit großer Sorge die neuen Entwicklungen in
Syrien und möchte mit Nachdruck die Positionierung der Fraktion von Bündnis 90/
DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag unterstützten.
Wir fordern:
- sich auf europäischer Ebene, bei den Vereinten Nationen, insbesondere im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und im Rahmen der NATO alles für
einen sofortigen Stopp der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien
einzusetzen;
- den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien, besonders innerhalb der NATO als
klar als völkerrechtswidrig zu benennen und zu verurteilen;
- dringend an alle Beteiligten zu appellieren, das humanitäre Völkerrecht zu
achten;
- mit sofortiger Wirkung sicherzustellen, dass die durch deutsche
Aufklärungsflüge im Rahmen des Einsatzes über Syrien und dem Irak
gewonnenen Aufklärungsdaten nicht länger mit der türkischen Regierung
geteilt werden, den Bundeswehreinsatz über Syrien und dem Irak zu beenden
und die Tornados aus Jordanien abzuziehen;
- keine neuen Hermesbürgschaften zur Absicherung wirtschaftlicher
Aktivitäten in der Türkei mehr zu übernehmen und die Übernahme aller noch
nicht genehmigten Anträge negativ zu bescheiden;
- alle deutschen Rüstungsexporte in die Türkei umgehend zu stoppen, erteilte
Genehmigungen zu widerrufen und auf die europäischen Partner einzuwirken,
dies ebenfalls zu tun;
- sich für persönliche und gezielte finanzielle Sanktionen gegen Präsident
Erdoğan und sein Umfeld im europäischen Verbund einzusetzen und weitere
Sanktionen zu prüfen;
- die flüchtlingspolitische Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei
sofort zu beenden und von der Türkei als Hauptaufnahmeland von
Flüchtlingen eine vollumfängliche Ratifizierung der Genfer
Flüchtlingskonvention einzufordern;
- die europäische Unterstützung zu unmittelbaren Gunsten der über drei
Millionen Flüchtlinge in der Türkei weiter aufrechterhalten um die
dortigen Strukturen zu entlasten, gleichzeitig aber auch höhere
Kontingente für die Aufnahme von Geflüchteten zuzusagen;
- Verantwortung zu übernehmen und die vor Ort inhaftierten deutschen IS-
Kämpfer und ihre Angehörigen mit deutscher Staatsbürgerschaft sowie
vorrangig ihre Kinder wieder aufzunehmen, damit diese schnellstmöglich in
Deutschland für ihre Taten strafrechtlich verfolgt werden können;
- die demokratische Opposition in der Türkei weiter zu unterstützen und die
Tür für EU-Beitrittsgespräche in der post-Erdoğan-Ära weit offen zu
halten;
- maximalen Druck für eine diplomatische politische Lösung im Konflikt
zwischen der Türkei und den Vertreterinnen und Vertretern der kurdischen
Bevölkerung in der Region aufzubauen.
Begründung
Am 9. Oktober 2019 begann Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine angekündigte Militäroffensive im Nordwesten Syriens. Die türkische Invasion ist eine Verletzung des Völkerrechts und eine unverantwortliche militärische Gewalteskalation mit voraussichtlich dramatischen Folgen auf vielen Ebenen. Bereits jetzt hat das militärische Vorgehen der Türkei in Syrien das Ausmaß der humanitären Kata-strophe im Land dramatisch vergrößert, Fluchtbewegungen hervorgerufen und den ohnehin schon schrecklichen Gewaltkonflikt weiter verschärft. Wer suggeriert, der völkerrechtswidrige Einmarsch türkischer Streitkräfte in Nordsyrien habe mit vermeintlichen Sicherheitsinteressen der Türkei zu tun, stärkt Präsident Erdogan in seinem unverfrorenen Vorhaben, einen eindeutigen Völkerrechtsbruch mit Artikel 51 der UN-Charta zu rechtfertigen.
Bereits im Januar 2018 hatte die Türkei mit einer Militäroffensive in Afrin Völkerrecht gebrochen. Die Bundesregierung hat keine klaren Worte zu diesem Völkerrechtsbruch gefunden und schweigt bis heute zu Menschenrechtsverbrechen in den besetzten Gebieten. Die fehlende Kritik der Bundesregierung hat Präsident Erdoğan signalisiert, dass er keine ernsten Folgen zu befürchten hat, wenn er seine militärische Offensive ausweitet.
Mit dem Flüchtlingsdeal von 2016 hat sich die EU zudem durch Erdoğan erpressbar gemacht. Die Türkei muss als Aufnahmeland mit der höchsten Zahl syrischer Geflüchteter bei deren Versorgung und Unterbringung finanziell umfassend unterstützt werden. Die Kernidee des Flüchtlingspaktes jedoch, im Gegenzug
jeden Geflüchteten, der die griechischen Inseln erreicht, in die Türkei zurückzuschicken, ist asylrechtswidrig.
Der Einmarsch in Nordsyrien ist ein gezielter Angriff auf die kurdische Bevölkerung und eine bewusste Eskalation des Konflikts mit den Kurdinnen und Kurden im eigenen Land. Mit dem Angriff in Nordsyrien erstickt Präsident Erdoğan auf absehbare Zeit die letzte Hoffnung, den kurdischen Friedensprozess in der Türkei wiederzubeleben. Die Ankündigung, mittelfristig bis zu zwei Millionen syrischer Geflüchteter in das mehrheitlich kurdische Nordsyrien umzusiedeln, ist der aggressive Versuch, die dortige Bevölkerungsstruktur nach zynisch-nationalistischem Kalkül umzuschichten. Solche ethnischen Vertreibungen und zwangsweise Umsiedlungen würden zu einer humanitären Tragödie und gefährlichen neuen Konflikten führen.
Es ist falsch, dass die Bundesregierung in dieser Situation im Rahmen des Einsatzes
der deutschen Aufklärungs-Tornados über Syrien und dem Irak Aufklärungsdaten
auch der Türkei zur Verfügung stellt. Die Bundesregierung kann nicht garantieren, dass die Aufklärungsdaten der Anti-IS-Koalition von der Türkei nicht für den Kampf gegen die Kurdinnen und Kurden in Syrien und dem Irak missbraucht werden. Die
Bundesregierung muss die Verlängerung des Engagements der Bundeswehr bei
der Operation „Inherent Resolve“ zurücknehmen und die Tornados aus Jordanien
abziehen.
Seit Beginn 2018 wurden Exportkreditgarantien (sogenannte Hermesbürgschaften)
für die Türkei im Wert von rund 2,6 Milliarden Euro gewährt. In der Vergangenheit
hat Druck bei der Frage von Hermesbürgschaften gegenüber der türkischen
Regierung durchaus Wirkung gezeigt. Die Bundesregierung hat dieses Mittel aber bisher nicht genutzt, um Präsident Erdoğan von weiteren Eskalationen abzuhalten.
Immer wieder wurden in der Vergangenheit Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in den Hintergrund gerückt, wenn ein lukratives Angebot für die deutsche Rüstungsindustrie in Aussicht stand. Seit dem Beginn der Offensive in Afrin wurden bereits Kriegswaffen im Wert von mindestens 427 Millionen Euro an die Türkei geliefert. Die Ankündigung der Bundesregierung, keine Genehmigungen für alle Rüstungsgüter, die durch die Türkei in Syrien eingesetzt werden könnten, zu erteilen ist völlig ungenügend, da sie sich nur auf einen Teil der Rüstungsexporte bezieht und bereits genehmigte Lieferungen weitergehen sollen.
Es braucht einen friedlichen, international getragenen Umgang im Konflikt zwischen der türkischen Regierung und den Kurden. Eine Lösung kann nicht in einer weiteren Eskalation des Krieges in Syrien und weiterer militärischer Aufrüstung der Türkei bestehen sondern muss friedlich, unter Einbeziehung der betroffenen Staaten und Interessengruppen sowie unter Wahrung des Völkerrechts erreicht werden.
Der Normalisierungskurs der Bundesregierung gegenüber Ankara ist gescheitert und hat Präsident Erdogan in seinem autokratischen, anti-demokratischen Kurs nur bestärkt. Die Hinnahme systematischer und andauernder Menschenrechtsverletzungen, der Rückbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die türkische Regierung muss endlich ein Ende haben. Wir stehen hier fest an der Seite aller Demokratinnen und Demokraten in der Türkei.
Unterstützer*innen
Zustimmung
- Marvin Peters
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